8 Dinge, die erfolgreiche Architektinnen & Architekten tun

Gute Architekten erzählen Geschichten und sprechen unsere Sinne an. Sie kennen die Regeln – und wissen, wann man sie brechen kann …

Jeder Architekt, jede Architektin hat ganz eigene Gewohnheiten und Rituale beim Entwerfen. Wenn ich ein neues Projekt beginne, greife ich zum Beispiel immer zu ganz bestimmten Arbeitswerkzeugen. Eines davon ist mein geliebter Druckbleistift. Sein leichter, mittelgroßer Mantel hat einen leicht geriffelten Griff und ist mit HB-Minen gefüllt, die nicht zu hart und nicht zu weich sind. Sein Clip ist abgebrochen. Und oben hat er einen kleinen blauen Druckknopf, mit dem ich die Mine herausschieben kann.

Mit diesem Bleistift beginne ich jeden Entwurf. Wenn ich das Projektgrundstück besichtige, mache ich damit Notizen und Zeichnungen auf einem kleinen Skizzenblock. Ich habe auch immer ein kleines Bündel Prismacolor-Buntstifte dabei – in den Farben Creme, Himmelblau, Maigrün, Gelbocker und Rostrot. Mit ihnen fülle ich meine Bleistiftzeichnungen aus und bringe Ordnung hinein. So mache ich es immer. Und ich kann mir sicher sein: Wenn ich mit diesen Werkzeugen bewaffnet bin, kommen die Ideen wie von allein.

So hat jeder seine Vorlieben und Eigenheiten. Aber es gibt auch andere, allgemeinere Regeln, an die Architekt*innen sich halten können. Sie zu beherzigen, ist die Grundlage eines guten Entwurfs. Hier stelle ich Ihnen acht dieser (vielen) Regeln vor, die erfolgreichen Architekten im Entwurfsprozess weiterhelfen.

1. Erfolgreiche Architekt*innen erzählen eine interessante Geschichte
Wenn wir uns an einen Ort erinnern, kommen uns immer Geschichten in den Sinn. Ein Haus, das die Geschichte eines bestimmten Bewohners an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit erzählt, erlangt dadurch Bedeutung.

Familie Kloos (auf dem Foto) bewohnt einen umgebauten Bahnhof im brandenburgischen Alt-Ruppin. Im Houzzbesuch erzählen sie von den Herausforderungen des Umbaus und wie schön das Leben an der Bahnsteigkante sein kann.

In den Hochschulen wird Studierenden sehr früh beigebracht, ein Konzept mit narrativem Charakter zu entwickeln. Damit ist eine Richtung eingeschlagen, die alle weiteren Entscheidungen bestimmt. Die Geschichte wirkt dann wie ein Regelwerk. Wenn sie gut ist, können wir sie zurate ziehen, wenn wir feststecken und nicht mehr wissen, was wir als nächstes tun sollen. Sie bringt Ordnung in unsere Gedanken und hilft uns dabei, den Entwurf an einer grundlegenden Idee auszurichten.

Ihr revolutionäres Korkenzieherhaus (im Bild) entstand, weil das Architektenduo Andreas Reeg und Marc Dufour-Feronce sowohl die Vorgaben der Bauherrin, die baurechtlichen Bestimmungen sowie die eigenen Ansprüche unter einen Hut bringen mussten. Das förderte die Kreativität.

Diese Geschichte kann ihren Ursprung in einem speziellen Gegenstand haben – zum Beispiel einem Baum, der unbedingt erhalten werden soll – oder eher allgemein sein, wie etwa: „Alle Räume müssen natürliches Licht bekommen.“ Sie kann aus einer speziellen Bitte des Kunden folgen: „Bitte nichts Weißes.“ Oder von der Form eines Baugrundstücks inspiriert werden. Sie kann Designentscheidungen auf jeder Ebene lenken, sogar bei Renovierungen oder Dekorationen kann sie hilfreich sein.

Wer den zentralen Leitgedanken definiert und um ihn herum eine Geschichte baut, kann danach gut begründete Designentscheidungen fällen.

2. Erfolgreiche Architekt*innen gehen Risiken ein
Risiken auf sich zu nehmen, um etwas Außergewöhnliches zu schaffen, ist in jeder schöpferischen Disziplin notwendig. Dazu gehört es, alles ganz neu zu durchdenken, sich die Idee bildlich vorzustellen und zu organisieren – schlicht: neue Wege zu finden.

Auf diesem Flur steht sprichwörtlich ein Pferd auf dem Flur. Die Bilderwand dahinter ist beweglich. Dahinter: Ein Wohnloft, welches Jung&Klemke ebenso kühn gestaltet haben.

Die Gesetze der Physik gelten zwar noch, aber selbst die Schwerkraft lässt sich herausfordern. Das bedeutet nicht, dass man sich allen Problemen mit neuen Erfindungen oder kühnen Konzepten widmen muss. Aber der Blick durch eine andere Brille bringt oft Lösungen zum Vorschein, auf die man standardmäßig einfach nicht kommt.

Hier ist einer meiner Favoriten unter den etwas gewagten Lösungen: die Zweieinhalb-Meter-Tür. Standardtüren sind etwa zwei Meter hoch und nicht ganz einen Meter breit. Damit beziehen sie sich auf den Umriss eines menschlichen Körpers. Solche Türen sind wir gewohnt. Wenn Sie stattdessen eine Tür verwenden, die fast zweieinhalb Meter hoch ist, fällt der Unterschied deutlich auf. Sie nehmen sich selbst anders wahr, wenn Sie die Tür öffnen und hindurchgehen.

Natürlich ist eine Tür in diesem Format teurer, aber die Wirkung ist enorm: Aus einem standardisierten Baukörper wird durch die Veränderung etwas Besonderes. Größere Türen lassen mehr Licht herein, wenn sie verglast sind, und mit ihren Proportionen sorgen sie dafür, dass schmale, enge Räume wie dieser Flur optisch größer wirken. Ich lasse Türöffnungen gerne bis zur Decke hinaufgehen. Wenn die Tür dann offen steht, sieht es so aus, als hätte sich die ganze Wand aufgelöst.

3. Erfolgreiche Architekt*innen sehen die Tücke, die im Detail steckt
In ihrem Innersten ist die Architektur eine Disziplin des Problemlösens. Die Art, wie ein Profi Problemen begegnet, und ob er dabei eine gewisse Poesie in den Entwurf bringt, unterscheidet gute von schlechten Lösungen.

Es gibt viele Möglichkeiten, eine Treppe abzusichern. Hier hat der Entwerfer zu einem minimalistischen, mühelos wirkenden Ausdruck gefunden. Der Grauton der dünnen Edelstahlkabel passt zum Beton der Treppenstufen, und auch die Befestigung ist wohlüberlegt.

Details spielen eine wichtige Rolle. Mit ihnen haben wir im Alltag am meisten zu tun. Die Verbindungsstellen, an denen die Komponenten eines Gebäudes zusammenkommen – das sind die Details.

Gemeinsame Strukturmerkmale (Architekt*innen sprechen von der „Detailfamilie“) vereinheitlichen die Formensprache eines Gebäudes. Die horizontal geschichteten Bretter der Holzvertäfelung korrespondieren hier mit den Spuren der Verschalung in der Betonwand. Die Materialien sind verschieden und sprechen doch die gleiche Sprache. Auf ähnliche Weise können auch kleinere Elemente vereinheitlicht werden – zum Beispiel indem man alle Türen mit Edelstahlgriffen ausstattet.

4. Erfolgreiche Architektinnen vereinfachen
„Die Fähigkeit zur Vereinfachung bedeutet, das unnötige zu eliminieren, sodass sich das Wesentliche bemerkbar machen kann“ – so hat es der Maler Hans Hofmann formuliert. Zu oft wird die Gestaltung komplex, wenn es an Ideen fehlt. Gestalterinnen sind geübt darin, eine Vielzahl von Dingen so lange herunterzukochen, bis nur noch die notwendigsten Bestandteile übrig bleiben. Wenn etwas keine Funktion hat, stellt sich die Frage, ob man es überhaupt braucht.

5. Erfolgreiche Architekt*innen schaffen Ordnung
Wer gestaltet, neigt dazu, alles nach bestimmten Prinzipien zu ordnen – und zwar auf jeder Ebene.

Wer Ordnung schaffen will, braucht natürlich Hierarchien. Das heißt vor allem, dass Sie entscheiden müssen, was am wichtigsten ist, um danach alles andere dahinter zurückzustellen.

Wenn ich ein neues Projekt beginne, sehe ich mir normalerweise drei Faktoren näher an: das Baugrundstück (egal, ob es schon vorbereitet ist oder noch erschlossen werden muss), den Kunden und das Budget. Das alles umfassende Konzept richtet sich danach, welcher Faktor am stärksten ins Gewicht fällt. Um diese Kraft herum baue ich dann eine Geschichte. An diesem Punkt fangen die Dinge an, sich zu ordnen.

Eingegraben: Auf einem Grundstück bei Stuttgart baute die Architektin Arnouva Elanández familiengerecht um einen Garten herum.

Aber was auch immer den Ausschlag gegeben hat: Ich komme immer wieder auf das Grundstück zurück. Dort mache ich ausfindig, welche Merkmale (Aussicht, Gelände, andere Strukturen) am wichtigsten sind.

Bevor wir entscheiden, wie ein Gebäude aussehen wird (der Form nach), müssen wir über alle Räume nachdenken, die auf dem Grundstück entstehen sollen – vom öffentlichsten bis zum privatesten –, und sie in eine Ordnung bringen. Wir müssen wissen, wie wir das Gebäude betreten werden und in welcher Reihenfolge die Räume sich öffnen.

Bei Renovierungen und Umbauten ergeben sich die Ordnungsprinzipien oft aus dem, woran es der vorhandenen Struktur mangelt – Licht, Platz, Verbindung nach draußen. Bei manchen Projekten bin ich sogar so weit gegangen, ein Regelwerk zu entwickeln, um bestimmte Module zu schaffen, das Raster und die Materialien zu bestimmen und festzulegen, auf welche Weise später weitere Module in die Struktur eingefügt werden können.

Francis Chings wunderbar illustriertes Grundlagenwerk „Architecture: Form, Space and Order“ (deutsche Ausgabe: „Die Kunst der Architekturgestaltung als Zusammenklang von Form, Raum und Ordnung“) gehört zur Pflichtlektüre für angehende Architekt*innen im ersten Semester. Ich finde das Buch immer noch inspirierend, gerade im Hinblick auf Ordnung.

6. Erfolgreiche Architekt*innen wiederholen, wiederholen und wiederholen
Wiederholung ist in der Architektur eine gute Sache. Elemente, die immer und immer wieder erscheinen, helfen uns dabei, eine Regelhaftigkeit zu erkennen und zu untermauern. Fenster, Türen, Säulen, Balken, Materialien: Sie alle sind ordnende Bestandteile von Gebäuden.

Dieses und die folgenden zwei Bilder zeigen drei Kinderzimmer in einem Neubau von Gramming Rosenmüller Architekten GbR. Das Material der maßgefertigten Einbaumöbel, deren Form sowie die restlichen Möbel und sogar der Teppich wiederholen sich. Varianz entsteht durch unterschiedliche Farbgestaltung und verschiedene Tapeten.

Sie sehen also, Wiederholung hat nichts mit Langeweile zu tun – vielmehr hält sie einen Entwurf zusammen. Die Wiederholung von Mustern, Materialien, Rastern und Proportionen ist eine Ordnungsgrundlage. Das oberste Gebot der Wiederholung: Man braucht mindestens drei, um eine Regel zu erkennen. Zwei mögen gut sein, aber drei sind besser.

Wiederholung ist nicht nur aus ökonomischer Sicht sinnvoll. Sie schafft auch einen Bezugspunkt und einen Hintergrund, der alle Dinge hervorhebt, die wir wirklich für wichtig halten. Das ist die Grundlage für unsere nächste Regel.

7. Erfolgreiche Architekt*innen brechen die Regeln
Die Regelbrüche eines guten Architekten bauen auf der vorher etablierten Ordnung auf: Stellen Sie sich ein geordnetes Fensterraster vor. Wenn ein Fenster aus dieser regelmäßigen Anordnung ausbricht, muss es dafür einen ganz bestimmten, wichtigen Grund geben – zum Beispiel den Blick auf eine Baumkrone oder in die Ferne.

Der Regelbruch funktioniert und wirkt nur richtig, wenn es eine Ordnung gibt, gegen deren Prinzipien verstoßen werden kann. Umgekehrt sorgt die Unterbrechung dafür, dass die Wiederholung nicht monoton und bieder wirkt.

Diese Treppe ist ein gutes Beispiel für die Wirkung, die ein Regelbruch haben kann. Beachten Sie die zurückhaltende Umgebung.

Eine traditionelle Treppe verfügt über Stützbalken an den Seiten, der Abstand zwischen ihren Trittflächen wird mit Setzstufen geschlossen, und ein Geländer mit Handlauf dient der Absicherung.

Hier hat der Gestalter jede dieser Regeln auf durchdachte Weise gebrochen und die Treppe damit in eine Skulptur verwandelt. Der größte Teil des Objekts hängt am Obergeschoss. Wer sich nach oben bewegen will, wird dazu angehalten, seinen Bewegungsablauf genau wahrzunehmen und über einen massiven Betonsockel auf den viel leichteren Treppenteil aus Holz zu steigen.

Die Zwischenräume zwischen den Stufen sind offen, sie lassen Licht durch und geben den Blick frei. Die Holzplatten an den Seiten dienen als „Stützbalken“ und Absicherung.

8. Erfolgreiche Architekt*innen sprechen alle Sinne an
Beeindruckende Architekturfotografien, die wir uns online anschauen, beschäftigen nur unsere Augen. Wenn wir einen Entwurf machen, müssen wir uns als Architekten mit all unseren Sinnen einbringen.

Wenn wir ein Haus gestalten, ist uns nicht nur der Anblick wichtig, den es bietet. Ebenso bedeutsam ist es, dass wir es von unerwünschtem Lärm abschirmen oder von dem Geruch, der vom Meer oder einer Zypresse herüberweht.

Gestalter*innen machen sich Gedanken darüber, wie sich kalter Beton und warmes Holz für die Füße anfühlen, die darüber gehen und darauf stehen werden. Sie denken auch an Dinge wie das Geräusch, das Regen auf einem Metalldach macht.

Entdecken Sie im Video oben die „Villa Schatzmayer“, welche das Team von Philipp Architekten im Donautal bei Passau gebaut hat. Auch wie Projekte nach Vollendung präsentiert werden, kann die Sinne ansprechen…

Denkt man über Design auf der Erfahrungsebene nach, zeigen sich oft Möglichkeiten, die das Leben in einem Haus viel angenehmer machen. Gute Architekten und Architektinnen setzen sich mit Licht und Schatten auseinander. Sie überlegen sich, wo die Sonne im Laufe des Tages stehen wird, aus welcher Richtung der Wind kommt oder welche Geräusche eine städtische Umgebung erzeugt – und wie sich all das in den Entwurf einbeziehen lässt.

Quelle: https//www.houzz.de