Sind wir mal ehrlich: Jede gute Party endet irgendwann in der Küche. Und das kommt weder von ungefähr, noch ist es ein wirklich neues Phänomen. Die Küche ist Ausdruck und Lebensmittelpunkt einer Familie, eines Haushaltes. Beim Essen kommen alle zusammen, berichten vom Tag, ihren Erlebnissen, Erfahrungen, Freuden und Ängsten. Das Grundbedürfnis von Beziehung und Bindung wird hier gepflegt und aufrechterhalten.
Bereits in den ersten, einfachen Behausungen nach der Urhütte, bildete die Feuerstelle den zentralen Mittelpunkt. Um das Feuer herum entstand Wärme, man rückte zusammen und war zudem geschützter vor (Fress-)Feinden. Darüber hinaus konnte auf diese Weise Rauch und Qualm unkompliziert von innen nach außen abgeleitet werden. Auch aus logistischer Sicht haben sich die daran angelehnten Baupläne künftiger Gebäude etabliert. Koch- und Essbereiche befanden sich im Zentrum der Architektur und wurden genutzt, um Freunde und Gäste zu empfangen, während sich alle übrigen Funktionen, wie Schlafbereiche, und in der späteren Entwicklung die Sanitäranlagen, von der Mitte ausgehend, rundherum anordneten.
Die Verbindungen zwischen Kochkunst und Baukunst sind jedoch noch vielschichtiger als das angesprochene Interagieren. Auch umfassen sie mehr, als den hohen Aufwand, der betrieben wird, um Restaurants so zu gestalten, dass sich Gäste beim Essen wirklich wohlfühlen oder um der eigenen Wohnküche einen professionellen Auftritt zu verleihen. Dies liegt daran, dass es sich sowohl beim Kochen als auch beim Bauen um Tätigkeiten handelt, die nicht nur das menschliche Zusammenleben, sondern auch zwei der existenziellen Bedürfnisse des Menschen befriedigen. Sie werden von kulturellen Konventionen bestimmt und von Traditionen und Ritualen definiert. Dabei folgen sie einem System, einer Komposition aus einzelnen Bestandteilen. Beide lassen sich ähnlich eines Baukastens in ihre Bestandteile zerlegen. Plan, Maß und Verhältnisse spielen dabei wichtige Rollen und lassen sich übergreifend sehr metaphorisch einsetzen: Ein Rezept wird zum Bauplan, Zutaten werden zu Werkstoffen, die Zubereitungszeit wird zur Bauzeit und das fertige Gericht wird zum errichteten Gebäude. Das ästhetische Erscheinungsbild inklusive seines harmonischen Zusammenspiels vom Detail zum Ganzen lässt sich dabei sogar sprichwörtlich 1:1 übertragen.
Dass eine Harmonie und das Streben nach Vollkommenheit neben dem Bauen und Kochen auch allen anderen Künsten – inklusive der Musik – zu Grunde liegt, ist der Tatsache geschuldet, dass der Mensch als sinnliches Wesen nach diesen Motiven strebt. Maße, Zahlen und deren Relationen bestimmen die Natur und den Menschen und demnach auch seine (gebaute) Umwelt, wie bereits Leonardo Da Vinci fortwährend untersucht und bewiesen hat.
Doch gerade zwischen dem Kochen und dem Bauen scheint eine noch intensivere Verbindung zu bestehen, da hier mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen werden. Aus diesem Grund wirken sich auch die aktuellen Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft auf beide Bereiche in ähnlicher Weise aus und erlauben Rückschlüsse. Weniger wird mehr und eine ganz bewusste und fokussierte Wahrnehmung wird gefordert. In der Architektur äußert sich dies aktuell in minimalistischen, geradlinigen Bauten. Hochwertig aber reduziert, am besten aus nachhaltigen Rohstoffen. Beinahe puristisch werden Farben und Materialien eingesetzt und glänzen mit „Nicht-Glanz“ und „Unsichtbarkeit“. Auch Speisen werden zunehmend von Minimalismus, Unverfälschtheit und Regionalität bestimmt. Das was auf dem Teller zu finden ist, ist leicht, elegant und in Perfektion drapiert. Sogar mit Pinzetten und der Molekulartechnik werden kleine Kunstwerke geschaffen, die fast zu kostbar wirken, um gegessen zu werden und eher das Auge als den Geschmack bedienen. Geschmacklich vielleicht noch ein Genuss, aber der Hunger wird in der gehobenen Restaurantküche wenig gestillt.
Schießt man also über das Ziel hinaus? Das anhaltende Streben nach Perfektion macht es den Künsten auf jeden Fall im Alltäglichen schwierig. Denn dadurch haben Kochkünste und die eigentliche Kunst des Kochens genauso wenig miteinander zu tun, wie die Baukunst und die Kunst des Bauens. Die Besonderheit des Bauens und Kochens – mehrere Sinne gleichzeitig anzusprechen – geht verloren, wenn nur um das optisch perfekte Bild anvisiert wird. Und Meister auf seinem Gebiet zu sein heißt seit jeher, das Tätigkeitsfeld im gesamten zu begreifen und zu verinnerlichen. Der Beginn eines Gegentrends lässt sich demnach bereits in beiden Sparten erkennen: Do-It-Yourself Angebote in Baumärkten werden immer beliebter und zunehmend als „Kreativabteilungen“ deklariert. Umfragen haben sogar ergeben, dass Verbraucher paradoxerweise bereit sind für ein Möbelstück mehr zu bezahlen, wenn sie dieses selbst zusammengebaut haben, da es in ihren Augen damit an Wertigkeit und Individualität gewinnt. Auch Kochkurse sind mit steigender Tendenz lange Zeit im Voraus ausgebucht und als Erlebnisgeschenk immer beliebter. Wir wollen vom Profi lernen, selber Profi werden und die ganze Bandbreite an Sinnen befriedigen: Sehen, Riechen, Tasten, Schmecken. Gleichzeitig wird uns durch das eigenständige Erleben und Erfahren erst bewusst, was es wirklich bedeutet ein Gericht zuzubereiten, dass der ganzen Familie schmeckt, oder ein Haus zu bauen, in dem sich wirklich alle wohl und zuhause fühlen. Wir blicken hinter den schönen Schein und erkunden das „Dahinter“ mit allen Sinnen. Fragen Sie sich also selbst: Was macht „guten Geschmack“ für Sie ganz persönlich aus und was umfasst er alles für Sie?
Fotografie von Masahiro Naruse auf Unsplash
Quelle: https://beruehrungspunkte.de/artikel-bauplan-trifft-rezept-wie-wir-unser-food-stylen-und-architektur-geniessen-koennen